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Kölner Schützenvereine sind: die Königsmacher

René Denzer · 21.10.2024

Die St. Sebastianus Schützenbruderschaft in Eil feiert fröhlich, auch wenn der Vogel noch hängt. Foto: Costa Belibasakis

Die St. Sebastianus Schützenbruderschaft in Eil feiert fröhlich, auch wenn der Vogel noch hängt. Foto: Costa Belibasakis

Sie schießen regelmäßig den Vogel ab und küren ihren König. Ein Besuch beim Schützenfest in Mülheim, bei der Bruderschaft im Porzer Stadtteil Eil und beim Stadtverband Kölner Schützen.

Franz-Josef Custodis wirkt etwas abgekämpft, aber glücklich. Er steht in einem großen Festzelt im Porzer Stadtteil Eil, schüttelt Hände, wird umarmt und bekommt ein Kölsch gereicht. Er ist der neue König der hier ansässigen St. Sebastianus Schützenbruderschaft. Dafür musste Custodis drei Dinge haben: Spaß, Treffsicherheit und Sitzfleisch. 232 Schuss waren nötig, um den Gipsvogel mit dem Luftgewehr von der Stange zu holen. Über zwei Stunden hat es gedauert. Um 22.11 Uhr war es so weit, womit das Ende eines langen Tages, aber noch nicht das Ende des Schützenfestes eingeläutet war. Das kommt für die Eiler erst nach dem feierlichen Krönungsball am nächsten Tag.


Der neue Schützenkönig in Eil: Franz-Josef Custodis (links). Foto: Costa Belibasakis

Mülheim

Hier ist der Krönungsball im Liebfrauenhaus in vollem Gange. Die Musik ist laut. Sie kommt abwechselnd aus der „Konserve“ oder wird live gespielt. Die Stimmung ist gut. Wer nicht das Tanzbein schwingt, hockt an einem der Tische, singt oder klönt mit dem Gegenüber. Auf der Bühne sitzt mittig Michel Welsing. Um seinen Hals hängt noch die große, schwere silberne Kette mit Plaketten und einem silbernen Vogel. Allein der ist rund 700 Gramm schwer – und alt. 1711 wurde er von Jan Wellem gestiftet. Der Kurfürst soll damals spontan am Vogelschießen der Schützenbrüder teilgenommen und gewonnen haben.

Die Kette samt Vogel hat Welsing ein Jahr lang bei wichtigen Ereignissen um den Hals getragen. Doch seine Zeit ist nun vorbei. Beim diesjährigen Königsschießen hat Willi Blum den Vogel abgeschossen. Er wird fortan die „St. Sebastianus Schützenbruderschaft Mülheim am Rhein“ als höchster Repräsentant vertreten. Besiegelt wird das gleich mit der Übergabe der Kette und einem „Versöhnungsschluck“ des scheidenden und des neuen Königs aus einem großen silbernen Kelch. Dessen Inhalt ist Kölsch. Bei Werner Goebel durfte es vor etlichen Jahren Kräuterlikör sein. „Den Inhalt bestimmt der scheidende König“, sagt er. Der 72-Jährige ist seit 45 Jahren Mitglied bei der Bruderschaft, davon seit 35 Jahren im Vorstand tätig. Aktuell ist er Kassierer der Mülheimer Grünröcke.


Estes Foto: Der Vogel wurde von Jan Wellem 1711 gestiftet. Zweites Foto: Eine alte Tradition, die auch durch besondere Abzeichen an der Kleidung sichtbar wird. Fotos: Costa Belibasakis

Die können auf eine lange Tradition zurückblicken. 1435 wurden sie erstmalig urkundlich erwähnt. Zwar sei in alten Dokumenten schon vor dieser Zeit ein Schützenfest vermerkt, aber die Schützenbruderschaft sei nicht explizit genannt worden, sagt Goebel. „Deswegen sind wir wahrscheinlich noch älter, aber gesichert belegen können wir dies erst für das Jahr 1435.“
Und der Verein geht mit der Zeit: Seit 2019 können hier auch Frauen die Mitgliedschaft erhalten. Auch soziales Engagement kam hinzu: Ohne die Schützen gebe es zum Beispiel den Weihnachtsmarkt auf dem Wiener Platz nicht.


Auch die Mülheimer Schützenschwestern treten zum Wettkampf mit dem Kleinkaliber an. Foto: Costa Belibasakis

Der Stadtverband Kölner Schützen

Ihren Ursprung haben viele Schützengruppen in Deutschland bereits im Mittelalter. Das erklärt Eckehard Backhausen, Mitglied der Eiler Schützen und KölnerLeben Herbst 2024 stellvertretender Stadtschützenmeister im „Stadtverband Kölner Schützen“ so: „Ihre Funktion war tatsächlich, etwas zu schützen.“ Nämlich Haus und Hof in Kriegszeiten, vor allem aber auch die Kirche im Dorf. Deswegen gebe es den starken Bezug zur Kirche, erzählt Backhausen weiter. Nicht umsonst sind die Schutzpatrone und Namensgeber der Vereine und Bruderschaften vor allem der heilige Hubertus oder der heilige Sebastian.

Dem Stadtverband sind heute 43 Vereine angeschlossen. Dessen Ziel ist es, untereinander die Kontakte zu pflegen, so Backhausen. Das schließt gegenseitige Hilfe mit ein. Etwa bei Fragen zu Schankerlaubnis oder Zuggenehmigung.
Ein Großteil der Mitgliedsvereine ist neben christlich auch historisch geprägt. Das Leitbild ist Glaube, Sitte, Heimat. Die Wortwahl stößt Außenstehenden oft sauer auf. Doch das Eintreten für etwas bedeutet auch, gegen etwas zu sein: Werteverfall, Vereinsamung oder Gleichgültigkeit zum Beispiel, betont Backhausen.

Die Bruderschaften

Aber das Schützenwesen hat sich mit der Zeit auch gewandelt. Backhausen hat das in seiner über 50-jährigen Mitgliedschaft bei den Eiler Schützen selbst erlebt. Früher mussten die Mitglieder Katholiken sein. Wessen Ehe geschieden wurde, war raus. Mittlerweile reicht es aus, christlichen Glaubens zu sein. Aber bis heute ist Eil eine reine Bruderschaft, nur Männer dürfen Mitglied sein. Das wiederum ist aus der Historie begründet: die Männer als Verteidiger des Ortes, der Kirche im Dorf.


Als Schützenkönig erwirbt man Anerkennung – auch darum geht es im Verein. Fotos: Costa Belibasakis

Reine Bruderschaften gebe es aber kaum noch, sagt Backhausen. Mehr als vier oder fünf seien es nicht mehr. Denn die Schützenvereine haben mit Nachwuchssorgen zu kämpfen und so öffnen sie sich vermehrt auch für Frauen. Und um auch für Kinder und Jugendliche interessanter zu werden und das Waffengesetz zu umgehen, haben einige Vereine das Lasergewehrschießen eingeführt. Dort können auch schon Kinder unter zwölf Jahren antreten. Allerdings sind solche Anlagen teuer, hier müssen die Schützen tief in die Tasche greifen.

Engagement fürs Veedel

Das Schießen ist für Wolfgang Faust eine Art Ausgleich. Als Jungspund habe es ihm geholfen, sich im Leben auf Dinge zu fokussieren. Heute braucht er es, um runterzukommen. „Ich bin von Beruf Briefträger. Der Job hat sich mit den Jahren so was von verändert. Am Schießstand kann und muss ich abschalten, um Anzeige zu treffen“, erzählt er. Und weiter: „Viel wichtiger als das Schießen ist aber die Gemeinschaft.“

Damit ist auch die Gemeinschaft im Veedel gemeint. Soziales Engagement wird großgeschrieben: Lernspielzeug für Kindergärten, T-Shirts für die Jugendfeuerwehr. „Früher haben auf dem heutigen Eiler Schützenplatz drei, vier Veranstaltungen im Jahr stattgefunden“, erinnert sich Faust. Heute seien die Schützen die Einzigen, die noch etwas machen. Aber auch hier haben sich die Eiler Schützen in den vergangenen ihrer bis dato 116 Jahre verändert. „Weil sich auch die Gesellschaft verändert“, sagt Faust.


In Mülheim ist der Krönungsball in vollem Gange. Foto: Costa Belibasakis

Bei dem viertägigen Schützenfest gibt es einen Disco-Abend und einen Abend mit kostenfreiem Konzert. Cat Ballou haben hier schon gespielt, in diesem Jahr waren es „Druckluft“. Außerhalb des Schützenfestes gibt es einen Kölschen Abend und vieles weitere mehr.

Zurück in Eil

Heute, beim Königsschießen, hielt sich Faust aber etwas zurück. Vor dem Königsfinale wurden die sogenannten Ritter ausgeschossen. Nur Flügel und Schwanz des Vogels durften angepeilt werden. Faust darf sich als dritten Ritter küren. Um die Königswürde wollte er aber nicht mitschießen. „Erster Brudermeister“ und König sein, diese Doppelbelastung will er sich nicht antun. Fünfzehn Personen blieben übrig, die König werden durften.


Der Ex aus Eil: Joachim Baehr (erstes Foto). Der Vogel muss runter (zweites Foto). Foto: Costa Belibasakis

Sie erfüllen die Voraussetzungen: Man darf drei Jahre lang kein König gewesen sein, muss drei Veranstaltungen anderer Vereine besucht haben und überhaupt einverstanden sein, König zu werden. Denn als dieser hat man viele Verpflichtungen und auch die Kosten sind nicht gerade gering: Als höchster Repräsentant gilt es hier und da mal einen auszugeben, den Hofstaat einzukleiden und und und. Da kann dann schon einmal eine hohe vier oder gar fünfstellige Summe rumkommen. „Das kann und will nicht jeder“, sagt Faust.

Von den 15 wollten dann auch nur acht auf dem sogenannten Sünderbänkchen Platz nehmen. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Die Beleuchtung unter dem Zelt kann nicht eingeschaltet werden, Regenwasser ist in einige Glühbirnen gelaufen. Mit Strahlern erleuchtet ist hingegen der Vogel. Den Franz-Josef Custodis letztlich runterholt.

Hochstand der St. Sebastianus Schützenbruderschaft
Köln-Flittard 1954 e. V., Pützlachstr. 37.
Info: 0176 / 97 69 17 35

Ausgerichtet vom:
Stadtverband Kölner Schützen 1901 e. V.
Spitzangerweg 33, 50859 Köln
Tel. 02234 / 496 90
www.koelnerschuetzen.de
Dort auch Termine für Schützenfeste und -bälle sowie Schießwettbewerbe.

Sankt Sebastianus Schützenbruderschaft Eil von 1908 e. V.
Schützenheim: Leidenhausener Str. 62. Reinschnuppern kostenlos.
Kontakt: Erwin Bäuml, Tel. 0157 / 79 73 01 58
www.schuetzen-eil.de Sankt

Sebastianus Schützenbruderschaft Mülheim am Rhein von 1435
Schützenheim: Bertoldistr. 1. Jeden Donnerstag ab 18 Uhr für Schießbetrieb und Gäste geöffnet.
Kontakt: Werner Goebel, Tel. 0172 / 97 19 947
www.sebastianer-muelheim1435.de

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