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Leben in Köln

Unvergesslicher Dreivierteltakt

Philipp Haaser-KölnerLeben Ausgabe 5/2017 · 02.10.2017

Die Freude am Tanzen bleibt, ob man allein tanzt oder als Paar. Foto: Philipp Haaser

Die Freude am Tanzen bleibt, ob man allein tanzt oder als Paar. Foto: Philipp Haaser

Ein spanisches Sprichwort sagt: Niemand kann einem nehmen, was man getanzt hat. Das gilt auch für Menschen mit Demenz.

Ein Kurs ist gerade zu Ende gegangen und ein Pulk von gut gelaunt plaudernden Senioren strömt aus einer Tanzschule auf die Bonner Straße. In den vorangegangenen zwei Stunden haben die Damen und Herren das getan, was ihnen trotz der gemeinsamen Krankheit Demenz noch immer ganz leicht fällt. Sie haben getanzt. Auch wenn ihnen manche Erinnerungen immer öfter abhandenkommen – Foxtrott, Walzerschritt und Cha-Cha-Cha haben sie sofort parat. Sogar Titel, Interpret und mitunter der komplette Text eines Schlagers gehen ihnen leicht von den Lippen.

Kurz zuvor im Saal der Tanzschule: Aus den Boxen schallt Willy Schneiders Gassenhauer „Kornblumenblau“ im Dreivierteltakt. „Das hebt mich sofort vom Stuhl“, sagt Maria Weingartz, steht auf, schiebt ihre Gehhilfe zur Seite und verschwindet auf der Tanzfläche. Sie hat als junges Mädchen schon gerne getanzt, hatte sie gerade noch erzählt, auf den Feuerwehrfesten in der Eifel, wo sie aufwuchs. Sie ist zum ersten Mal an diesem Nachmittag in der Tanzschule Stallnig-Nierhaus dabei.

„Wir tanzen wieder“ lautet das Motto des monatlichen Tanznachmittags für Menschen mit und ohne Demenz. Es klingt so einleuchtend wie die Idee, die Tanzlehrer Georg Stallnig und Sozialarbeiter Stefan Kleinstück vor genau zehn Jahren gemeinsam in die Tat umsetzten. Die beiden Initiatoren kannten sich damals schon bestens. Stallnig war Kleinstücks Tanzlehrer. Und sie ergänzen sich perfekt: Wo der Demenz-Profi vom Beziehungsaspekt, von der notwendigen Geh- und Stehfähigkeit und von Erinnerungsinseln spricht, dankt der Tanzlehrer seinem Bauchgefühl, wenn er sich an den ersten Nachmittag erinnert: „Ich habe eine CD eingelegt und die Besucher auf eine Zeitreise mitgenommen, ins barocke Wien zum Walzertanzen, anschließend ins London der Sechziger zum Foxtrott. Ich habe von Frank Sinatra erzählt und von Rio de Janeiro. Wir haben einfach angefangen.“

Fünfzig bis siebzig Teilnehmer zählen die beiden. Viele ehrenamtliche Begleiter, Mitarbeiter von Senioreneinrichtungen, aber auch Geschwister, Kinder und Ehepartner sind darunter. Kleinstück, der ein Demenz-Servicezentrum koordiniert, beschreibt, was sie erreichen wollen: „Menschen, die an Demenz leiden, ziehen sich zurück und leben in ihrer eigenen Welt. Ich habe mich immer gefragt: Wie schaffe ich da eine Brücke?“ Die Antwort fand er in seinem eigenen Hobby: Tanzen. Er hat oft den Moment beobachtet, wenn jemand plötzlich merkt, dass er oder sie das immer noch kann. Besonders rührt ihn, wenn etwa die Ehefrau plötzlich in ihrem Gatten wieder mehr sieht als denjenigen, der auf ihre Pflege und Aufmerksamkeit angewiesen ist. „Und dann führt er beim Tanzen wie früher“, sagt er.

Ganz so wie früher ist es für das Paar, das seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte, nicht. „Er hat früher sehr gut geführt“, sagt sie über ihn. Er ist 80, dement, sie 73 Jahre alt. Seit 53 Jahren sind sie verheiratet. Sie haben sich – natürlich – beim Tanzen kennengelernt, auf einer Party. „Wir haben die schnellen Stücke getanzt, aber auch Blues“, erinnert sie sich an den Abend.

Die Atmosphäre ist gelöst. Stallnig und Kleinstück reißen ihre Gäste mit, animieren unermüdlich. An kleinen Tischen am Rand ruht sich aus, wer eine Pause braucht. Eine Frau lässt sich wieder auf die Tanzfläche ziehen, streckt ihrem Spiegelbild die Zunge entgegen und lacht. Neben ihr dreht jemand die Tanzpartnerin, bis ihr fast schwindelig wird. Stallnig schiebt eine Frau im Rollstuhl im Zickzack über die Tanzfläche. Die meisten verlassen den Saal mit rosigen Backen und breitem Lächeln. Für Maria Weingartz, das Eifeler Mädchen, das heute in der Südstadt wohnt, steht fest: „Hier bin ich nicht das letzte Mal gewesen.“

 

Wir tanzen wieder

Tanztee
Jeden 1. Montag im Monat (außer am 2.10.),  14.30–16 Uhr
Tanzschule Stallnig-Nierhaus, Bonner Str. 234, 50968 Köln, Tel. 0221 / 93 67 99 11

Jubiläumsball
Dienstag, 10. Oktober, 15.30 Uhr im Festsaal der Wolkenburg, Mauritiussteinweg 59, 50676 Köln
Eintritt: 15 € inklusive Getränke
Platzreservierung unter Tel. 02203 / 369 11 11 70 oder info@wir-tanzen-wieder.de
Festliche Kleidung ist erwünscht.

Tags: Tanz

Kategorien: Leben in Köln