Pflege
Leistungen und Pflegegrade der Pflegeversicherung
Sabrina Steiger, Februar.2024 · 01.07.2024
Foto: Sandor Kacso / Fotolia
Es kann manchmal schnell gehen. Plötzlich braucht man selber Hilfe oder Pflege. Oder muss sich um einen Angehörigen kümmern, der nicht mehr alleine zurechtkommt. Egal, ob durch Alter, Krankheit oder Unfall: Die Leistungen der Pflegeversicherung kommen zum Tragen. Und was diese übernimmt und zahlt, hängt immer von der Einstufung in einen der Pflegegrade ab.
In welchen der fünf Grade, ist abhängig von der Schwere der Einschränkungen: Start ist bei Pflegegrad 1, wenn die Selbstständigkeit leicht beeinträchtigt ist, und Schluss bei Grad 5 für Menschen, die einen sehr hohen Pflegebedarf haben. Es liegt auf der Hand: Je höher der Pflegegrad ist, desto mehr Geld gibt es von der Pflegekasse – wobei die meisten Leistungen erst ab Pflegegrad 2 einsetzen. Aber Beratung, Pflegehilfsmittel, Zuschüsse zur Wohnumfeldverbesserung bis 4.000 Euro pro Jahr und der Entlastungsbetrag von monatlich 125 Euro stehen auch Menschen mit Pflegegrad 1 zu.
„Um einen Pflegegrad zu beantragen, muss die Pflegebedürftigkeit voraussichtlich länger als sechs Monate bestehen. Dann reicht ein Anruf bei der Krankenkasse des Betroffenen“, sagt Dorothee Schweig, Regionalleiterin bei der Ambulanten Pflege der Caritas Köln.
Einstufung durch den medizinischen Dienst
Danach beauftragt die zur Krankenkasse gehörende Pflegekasse den unabhängig arbeitenden medizinischen Dienst (MD). Dieser erstellt ein Gutachten, das ein umfassendes Bild von der Hilfsbedürftigkeit des Antragstellers liefern soll. Dafür arbeitet ein von ihm beauftragter Arzt in einem persönlichen Gespräch zu Hause 64 Fragen aus sechs verschiedenen Lebensbereichen ab.
Diese beinhalten die Mobilität, kognitive, kommunikative, selbstversorgerische und alltägliche Fähigkeiten, die psychische Belastung und den Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen. Er vergibt Punkte nach einem komplexen System, die dann in unterschiedlicher Gewichtung in die Berechnung des Pflegegrades einfließen.
Grafik: Verbraucherzentrale/Canva
Hier ist besonders wichtig: Betroffene schätzen ihre tatsächlichen Fähigkeiten oft besser ein und wollen im Gutachtergespräch ein gutes Bild abgeben. Daher ist eine gründliche Vorbereitung wichtig. Man sollte sich vorab kostenlos von einem ambulanten Pflegedienst beraten lassen. Er kann auch das Gespräch begleiten. Ohnehin sollte man dazu immer eine Person seines Vertrauens hinzuziehen.
Welche Pflege dürfen Angehörige übernehmen?
Pauschal lässt sich sagen: Wenn es Angehörige gibt, die sich kümmern wollen, können diese die Versorgung des Pflegebedürftigen zu Hause fast komplett übernehmen. Für sie liegt die Grenze bei medizinischen Tätigkeiten wie Injektionen, Blutzuckerkontrollen, Verbands- und Katheterwechseln oder der Versorgung von Druckgeschwüren durch Bettlägerigkeit. Das dürfen ausschließlich examinierte Pfle- gefachkräfte übernehmen.
Gibt es keine Angehörigen oder können diese eine umfangreiche Pflege nicht leisten, sorgen ambulante Pflegedienste dafür, dass man so lange wie möglich zu Hause bleiben kann. Ihr Service umfasst neben Pflegeleistungen auch alltägliche Hilfen wie Einkaufen und Putzen.
Beratung und Überprüfung der Pflege
Pflegebedürftige Menschen, die zu Hause von Verwandten oder Bekannten versorgt werden und Pflegegeld beziehen, sind gesetzlich verpflichtet, sich regelmäßig von einem professionellen Pflegedienst beraten zu lassen – wie oft, hängt vom Pflegegrad ab. Bei Pflegegrad 2 und 3 wird halbjährlich geprüft, bei Pflegegrad 4 und 5 vierteljährlich.
Wichtig: Pflegende und Gepflegte haben bei Bedarf immer einen gesetzlichen Anspruch auf Beratung. Besonders wenn man Verschlechterungen bemerkt und der Grad erhöht werden soll, ist die Beratung wichtig. „Dabei schaut der Pflegedienst immer darauf, dass die Betroffenen und ihre Bezugspersonen gut vorbereitet sind“, sagt Dorothee Schweig.
Dafür gibt es einen hilfreichen Tipp: vorher eine Zeit lang aufschreiben, was der pflegebedürftige Mensch täglich tut. Denn, so warnen Fachleute: Ein Pflegegrad kann auch wieder heruntergesetzt werden. Das hat Betrachtung vo Schweig allerdings in ihrer dreißigjährigen Arbeit als Altenpflegerin nur einmal erlebt.
Nach welchen Kriterien erfolgt die Einstufung in die Pflegegrade?
5 Grade im Überblick
Auf dieser Doppelseite finden Sie einige typische Fallbeispiele. Sie dienen ausschließlich der Veranschaulichung. Alle genannten Beträge gelten pro Monat ab dem 1. Januar 2024.
Pflegegrade 1
Grafik: Verbraucherzentrale/Canva
> geringe Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Herr Dörfner ist 79 Jahre alt und hat vor Kurzem seine Frau verloren. Weil er allein nicht mehr gerne hinausgeht, wird er zunehmend unsicher auf den Beinen. Ein Pflegedienst hilft ihm einmal in der Woche bei der Körperpflege und begleitet ihn donnerstags zum Einkaufen auf den Markt. Leistungen: Entlastungsbetrag: 125 Euro Mit Zuschüssen zur Wohnumfeldverbesserung hat er außerdem die Dusche barrierefrei umbauen lassen (mit jedem Pflegegrad möglich).
Leistungen Pflegegrad 1:
Entlastungsbetrag: 125 Euro
Mit Zuschüssen zur Wohnumfeldverbesserung hat er außerdem die Dusche barrierefrei umbauen lassen (mit jedem Pflegegrad möglich).
Pflegegrad 2
Grafik: Verbraucherzentrale/Canva
> erhebliche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Die 80-jährige Frau Meyer hat Schwie- rigkeiten, sich morgens allein zu waschen und anzu- ziehen. Sie hat eine beginnende Demenz und vergisst immer häufiger, ihre Bluthochdruck-Medikamente einzunehmen. Deshalb kommt jeden Morgen ein am- bulanter Pflegedienst für die Grundpflege und die Medikamentengabe. Der Toilettengang und auch das Zu-Bett-Gehen funktionieren gut; das Mittagessen bringt ein Essensdienst.
Leistungen Pflegegrad 2:
Pflegesachleistungen: 761 Euro im Monat
oder Pflegegeld: 332 Euro
oder vollstationäre Pflege: 770 Euro
und Entlastungsbetrag: 125 Euro
Pflegegrad 3
Grafik: Verbraucherzentrale/Canva
> schwere Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Herr Reinhardt, 46 Jahre alt, ist nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt, er braucht einen Rollstuhl und kann die Wohnung nicht ohne Hilfe verlassen. Er kann sich nicht alleine anziehen und nicht selbst waschen. Dank verschiedener Hilfsmittel ist er in der Lage, zumindest einfache Mahlzeiten selbst zuzubereiten. Der Pflegedienst kommt morgens für die Grundpflege und zum Anziehen sowie abends zum Ausziehen. Einkäufe werden für ihn erledigt. Für Arztbesuche und Freizeit braucht er Hilfe und Begleitung.
Leistungen Pflegegrad 3:
Pflegesachleistungen: 1.432 Euro
oder Pflegegeld: 573 Euro
oder vollstationäre Pflege: 1.262 Euro
und Entlastungsbetrag: 125 Euro
Pflegegrad 4
Grafik: Verbraucherzentrale/Canva
> schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Herr Müller ist 96 Jahre alt und wohnt mit seiner Frau zusammen. Er hatte einen Oberschenkelhalsbruch, ist sehr schwach und kann nur noch kurze Wege innerhalb der Wohnung mit dem Rollator bewältigen. Er sieht schlecht und kann seinen Urin nicht mehr halten. Der Pflegedienst kommt einmal täglich, um ihn zu waschen, anzukleiden und das Frühstück zuzubereiten. Seine Tochter kocht das Mittagessen, kommt jeden Abend zum Entkleiden und Waschen und wechselt die Inkontinenzmaterialien.
Leistungen Pflegegrad 4:
Pflegesachleistungen: 1.778 Euro
oder Pflegegeld: 765 Euro
oder Kombileistung: Für den Einsatz am Morgen bekommt der Pflegedienst etwa 55 Prozent des Geldes für Pflegesachleistungen, also 980 Euro. Der Pflegeperson stehen die verbleibenden 45 Prozent des Pflegegelds zu, also 344 Euro;
oder vollstationäre Pflege: 1.775 Euro
und Entlastungsbetrag: 125 Euro
Pflegegrad 5
Grafik: Verbraucherzentrale/Canva
> schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung
Frau Seifert ist 74 Jahre alt. Sie ist herzkrank, hat seit Jahren Altersdiabetes und ausge- prägte Arthrose. Essen kann sie nur noch in pürierter Form zu sich nehmen. Sie wohnt bei ihrer Tochter und liegt die meiste Zeit im Bett. Der Pflegedienst kommt mehrmals am Tag, um Medikamente zu geben, sie zu waschen, Essen anzureichen und sie in verschiedenen Positionen zu lagern, damit sie kein Druckgeschwür bekommt.
Leistungen Pflegegrad 5:
Pflegesachleistungen: 2.200 Euro
oder Pflegegeld: 947 Euro
oder vollstationäre Pflege: 2.005 Euro und
Entlastungsbetrag: 125 Euro
Lesen Sie die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die Leistungen der Pflegeversicherung
Was sind Pflegesachleistungen?
Irreführend: Pflegesachleistungen sind professionelle ambulante Dienstleistungen eines Pflegedienstes rund um die Pflege zu Hause und von ihm ausgeführte haushaltsnahe Dienstleistungen wie Putzen und Einkaufen.
Wer bekommt Pflegegeld?
Das Pflegegeld bekommt der Pflegebedürftige ausgezahlt. Er bezahlt damit einen Angehörigen oder eine andere feste Pflegeperson für Pflegeleistungen.
Welche Pflegehilfsmittel werden erstattet?
Pflegehilfsmittel werden auf Antrag bewilligt. Es geht um technische Geräte wie Pflegebetten oder Notrufsysteme und Verbrauchsprodukte (etwa bei Inkontinenz oder für Hygieneartikel). Für Letztere kann es bis 40 Euro monatlich ohne Nachweis geben.
Wofür bekommt man einen Entlastungsbetrag?
125 Euro Entlastungsbetrag im Monat für haushaltsnahe Dienstleistungen und einfache Betreuungsangebote. Pflegedienste, aber auch ein spezieller Dienstleister oder ein geschulter Nachbar können beauftragt werden.
Jeder Pflegedienst und viele Wohlfahrtsverbände beraten.
DRK Kreisverband Köln e. V.
Beratung zur Pflegeversicherung,
Tel. 0221 / 54 87-0,
www.drk-koeln.de
Caritasverband für die Stadt Köln e. V.
Tel. 0221 / 955 70 47-0
www.caritas-koeln.de/ambulante-pflege/unsere-angebote/
Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD)
Beratungstelefon: 0800 / 011 77-22, auch auf
Türkisch: 0800 / 011 77-23,
Russisch: 0800 / 011 77-24 und
Arabisch: 0800 / 011 77-25.
Der Anruf ist gebührenfrei aus allen Netzen.
www.patientenberatung.de
Ratgeber „Das Pflegegutachten – Antragstellung, Begutachtung, Bewilligung“ der Verbraucherzentrale, 6. Auflage, 12 Euro. Im Buchhandel oder auf www.ratgeber-verbrauchenrzentrale.de
"Das Pflege-Set" der Stiftung Warentest informiert über die wichtigsten Schritte im Pflegefall und bei der Organisation einer guten Pflege. Die überarbeitete und aktualisierte Auflage enthält außerdem die wichtigsten Neuerungen der Pflegereform 2023. Das Pflegeprotokoll und zahlreiche weitere Formulare zum Heraustrennen und Herunterladen. Buch bestellen für 16,90 Euro auf https://www.test.de/shop/gesundheit-kosmetik/das-pflege-set-sp0565/.
Das könnte Sie auch interessieren:
Pflegehilfsmittel: Greifer und Hausnotruf
Ambulante Pflegedienste – Kölner Lagebericht mit Zahlen und Fakten
Hilfe im Haushalt für Menschen mit Pflegegrad
Tags: Pflegegeld , Pflegegrad
Kategorien: Pflege