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Ratgeber

Moderner Heiratsschwindel

lg · 26.04.2019

Die große Liebe online finden: Das Internet macht es Betrügern leicht. Foto: athree23 / pixabay

Die große Liebe online finden: Das Internet macht es Betrügern leicht. Foto: athree23 / pixabay

Lisa Müller ist Opfer romantischer Betrüger im Internet geworden. Um auf diese perfide Betrugsart aufmerksam zu machen, erzählt sie von ihrer sehr persönlichen Erfahrung mit dem „Romance Scamming”. Mit vielen Tipps, wie Sie sich schützen können.

Lisa Müller war eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand. Jetzt sitzt die Mitte, Ende 50-Jährige aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis, die eigentlich anders heißt, an einem runden Tisch, umgeben von einer Handvoll JournalistInnenen, denen sie erzählt, was noch nicht einmal ihre Familie und Freunde wissen: Lisa Müller ist einer Bande „romantischer Betrüger” zum Opfer gefallen.

Diese Form des Betrugs, das sogenannte Romance Scamming, wird in der Öffentlichkeit kaum thematisiert, obwohl sie bereits seit 2005 bekannt ist. Auch die Polizei kann keine genauen Zahlen nennen. Der moderne Heiratsschwindel läuft unter Betrug, vor allem aber ist die Dunkelziffer hoch. „Ich denke, viele Fälle werden aus Scham nie angezeigt“, sagt Gudrun Krämer, Opferschutzbeauftragte der Polizei Köln. Auch Lisa Müller wäre von alleine wohl nicht zur Polizei gegangen.

Jeden Tag mehr Nachrichten

„Der erste Kontakt lief über Instagram“, erzählt Müller. Das war im August 2018. Ein Mann beantragte, ihrem auf privat gestellten Profil zu folgen. Sie schaute sich sein Profil an: ein ganz normaler Kerl in ganz verschiedenen Kontexten, kein besonderer Schönling. Sie schaltete ihn frei. 

Irgendwann schrieb er ihr, sie antwortete. Alles auf Englisch. Der Mann, mit dem Müller glaubte zu schreiben, behauptete, mit seiner Familie aus den USA nach Deutschland gekommen zu sein; er arbeite für die Army, sei mittlerweile geschieden und seit 2007 in Kabul stationiert. Jeden Tag wurden es mehr Nachrichten. Er wünschte ihr einen guten Morgen, schrieb ihr, wie toll sie sei; bald sprach er von Liebe. „Im Nachhinein frage ich mich natürlich schon, wie er sich so viel Zeit genommen hat, um mit mir zu schreiben“, sagt Müller.

Wahrscheinlich waren es viele verschiedene Menschen, die Müller schrieben. Romantische Betrüger sind in der Regel Banden, viele agieren aus West-Afrika. Das Internet macht es den Kriminellen leicht. Die Kontaktaufnahme erfolgt über soziale Netzwerke wie Instagram oder Facebook, über vernetzte Computer-Spiele und Partnerschafts-Plattformen. Betroffen sind überwiegend Frauen in den 40ern, 50er, aber auch Männer und ältere Menschen – die Betrüger versuchen es einfach pauschal und gucken, wer antwortet.

Diejenigen, die reagieren, werden dann permanent angeschrieben und umgarnt. Das kann sich durchaus über Wochen oder Monate ziehen. Dann weisen sie auf ein Problem oder eine vertrackte Lebenssituation hin, sagen, dass sie Geld brauchen. Die Opfer sind zu dem Zeitpunkt emotional schon so gebunden, dass sie nicht das Gefühl haben, einer oder einem Fremden Geld zu überweisen.

„Da ist jemand, der mag mich und braucht meine Hilfe“

So kam es auch bei Lisa Müller. Nach vier, fünf Wochen, es war Mitte September, schrieb der „Amerikaner“: Als er nach Kabul ging, habe er seine wichtigsten Habseligkeiten in Großbritannien eingelagert. Jetzt habe er Nachricht erhalten, dass die Einlagerungsfrist auslaufe. Er wisse nicht, wo er die „versiegelte Familienschatzkiste“ hinschicken könne. Wenn er nicht in zwei Tagen eine Lösung hätte, würde alles verloren gehen.

Müller fühlte sich gedrängt, Hilfe zu leisten. „Ich bin bisher immer ein sehr hilfsbereiter Mensch gewesen. Und da ist jemand, der mich mag, mich sogar liebt, angeblich, mit dem ich mich verstehe, und der braucht meine Hilfe.“ Sie sei schon verliebt gewesen in die Person, mit der sie glaubte zu schreiben. Er habe Weihnachten zu ihr kommen, sie endlich kennenlernen wollen.

Nachdem Müller sich bereiterklärt hatte, das Paket anzunehmen, erhielt sie eine E-Mail. Die Lieferfirma schrieb, sie müsse einen dreistelligen Betrag überweisen, damit sie die Sendung losschicken könnten.

Müller schließt die Augen, drückt die Lippen aufeinander.

Sie schrieb ihrem Freund. Er antwortete mit großer Verzögerung. Der Druck, etwas tun zu müssen, wuchs mit jeder Minute. Dann endlich schrieb er, dass er ihr das Geld zurückzahlen würde. Müller tätigte die Überweisung, erhielt eine Bestätigung über die Zahlung. „Und dann nahm der ganze Horror seinen Lauf“.

Die angebliche Lieferung bliebt am Londoner Flughafen hängen, am Berliner Flughafen, in Köln. Das Bundesministerium der Finanzen, Interpol, die „Anti Terrorist Unit“ verlangten weitere Zahlungen, immer höhere Beträge. Müller erhielt jedes Mal ein Zertifikat, täuschend echt wirkende Fälschungen verschiedenster Behörden.

Gefälschte Zertifikate
Die gefälschten Zertifikate wirkten auf Lisa Müller echt. Foto: Laura Geyer

„Die Horrormails von dieser ‚Company‘ kamen immer zum späten Abend hin, und immer, wenn ich sie aufgemacht habe, dachte ich, ich sterbe gleich. Es wurde immer schlimmer. Aber ich habe immer noch geglaubt, dass alles seine Richtigkeit hat.“ Irgendwann Mitte Dezember kam Lisa Müller an den Punkt, dass sie nicht mehr zahlen konnte. Die „Company“ ließ nicht locker, schrieb, es liege ein Haftbefehl gegen ihren Kontakt vor, sie würde Schwierigkeiten bekommen, man müsse ihre Daten offenlegen.

Doch dann erhielt sie einen Brief von der Polizei. Eine Einladung zur Zeugenaussage. Erst da wurde ihr klar: Sie war Opfer eines Betrugs geworden. Zum Verständnis: Banken sind nach dem Geldwäschegesetzt verpflichtet, auffällige Zahlungen zu melden. Überweist jemand wie Lisa Müller innerhalb kurzer Zeit hohe Summen auf verschiedene Konten, erwächst der Verdacht auf Geldwäsche oder Terrorfinanzierung.

Müller war geschockt. Dann begann sie zu recherchieren. Sie fand eine Menge Foren, die sich mit dem Thema Scamming beschäftigen, die Fake-Profile aufdecken, auf denen man auch verdächtige Personen melden kann. Sie gab den Namen der „Company“ mit dem Schlagwort Scamming bei Google ein und fand einen Eintrag, der sie als Fake entlarvte. Und noch etwas fand sie heraus: Die unauffällige Webseite der angeblich britischen Firma war in Ghana gemeldet.

Die Täter sitzen im Ausland, agieren mit Verschleierung – deutsche Handynummern, englische Webseiten. Genau das macht die Ermittlungen so schwer, sagt Gudrun Krämer. Anzeige sollten Betroffene trotzdem stellen, um Licht ins Dunkel zu bringen. Das ist auch und vor allem dann wichtig, wenn die Bank den Verdacht der Geldwäsche erhebt!

Die psychische Belastung ist groß

Lisa Müller hat bei der Geschichte eine sechsstellige Summe verloren. Einen Teil konnte sie über die Bank zurückholen, das meiste ist weg. Weitaus belastender sind aber die psychischen Folgen. Müller „funktioniert“ weiter, geht zur Arbeit. Der Alltag alleine zu Hause fällt ihr schwer. „Ich habe mich sehr stark zurückzugezogen, weil ich mit niemandem darüber reden kann“, sagt sie und schluckt. Hinzu kommen Selbstvorwürfe: „Ich bin von mir selbst enttäuscht, dass ich nicht nachgedacht habe, dass ich so vernebelt war.“

Inzwischen weiß sie, dass sie manipuliert und emotional abhängig gemacht worden ist. Sie war schlicht nicht mehr in der Lage, die Alarmsignale zu erkennen. Genau deshalb ist es ihr auch so wichtig, Aufmerksamkeit für das Thema zu wecken. Und genau deshalb hat sich Müller dazu entschiedene, ihre Geschichte öffentlich zu machen. Jetzt versucht sie, ihren Weg wieder zu finden, mit der Sache klarzukommen. Und bald wieder die Frau zu sein, die mit beiden Beinen im Leben steht.

Wie kann ich mich schützen?

  • In sozialen Netzwerken und Partnerschafts-Plattformen prüfen: Wer sieht mein Bild und meine Daten?
  • Gesonderte E-Mail-Adresse anlegen
  • Neue Kontakte kritisch prüfen, bevor emotionale Bande geknüpft sind
    • Ist das Profil erst wenige Tage alt?
    • Ist die Person auf dem Profilbild „zu schön um wahr zu sein“, das Foto eventuell sehr klein und unscharf?
    • Gibt es nur wenige Fotos, vielleicht sogar nur das Profilbild?
    • Wird das Foto auch auf anderen Seiten verwendet? (Google Bildersuche, Tineye.com, yandex.com, Sherlock, Forensics)
    • Suchmaschinenanfrage: „Profilname+Scammer” Scammerforen aufsuchen
  • Gefühlscheck: Was würde ich meinen Freunden raten, wenn sie in meiner Situation wären?
  • Kein Geld überweisen
  • Keine Briefe oder Päckchen annehmen, weiterleiten oder selbst schicken
  • Keine Ausweise und andere Dokumente in Kopie übersenden (Missbrauch für Betrügereien)
  • Keine sensiblen Daten und intimen Fotos senden (Erpressung)

Was kann ich tun, wenn ich Opfer geworden bin?

  • Zahlungen versuchen rückgängig zu machen
  • Kontakt abbrechen
  • Scammer dem Netzwerk melden, über das er oder sie Kontakt aufgenommen hat
  • Chats, Überweisungsbelege etc. sichern
  • Strafanzeige bei der Polizei erstatten – wichtig, wenn die Bank den Verdacht der Geldwäsche erhebt!

Spezielle Hilfestellen für die Opfer von Romance Scamming gibt es nicht. Mögliche Anlaufstellen sind:

  • Lebensberatungsstellen
  • Schuldnerberatung
  • PsychologInnen

Auch die Opferschutzbeauftragten der Polizei Köln stehen Betroffenen zur Verfügung:

Polizeipräsidium Köln
Walter-Pauli-Ring 2-6
51103 Köln
www.koeln.polizei.nrw

Opferhilfe-Telefon: 0221 / 229-80 80
opferschutz.koeln@polizei.nrw.de

Weitere Informationen:

Die Polizei bietet auf der Webseite www.polizei-beratung.de ausführliche Hinweise zu Romance Scamming, anderen Betrugsarten und vielem mehr. Unter "Medienangebote" gibt es dort auch eine Broschüre speziell für SeniorInnen: "Im Alter sicher leben".

Tags: Polizei , Ratgeber , Sicherheit

Kategorien: Leben in Köln , Ratgeber